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#Pluralismus

«Lasst uns reden»: Mit mehr Dialog der zunehmenden gesellschaftlichen Polarisierung begegnen

«Lasst uns reden»: Mit mehr Dialog der zunehmenden gesellschaftlichen Polarisierung begegnen

Das Dialog-Format «Lasst uns reden» bietet Räume für konstruktive Streitgespräche. Wir bringen Andersdenkende zu einem gemeinsamen Gespräch zusammen, um sich in der Kunst des Dialogs zu üben und sich mit anderen Lebensrealitäten auseinanderzusetzen. Im Jahr 2023 haben wir «Lasst uns reden» in mehreren Durchführungen und Formaten fortlaufend weiterentwickelt. Dabei haben wir viel gelernt. In diesem Beitrag teilen wir das Ermutigende und Herausfordernde.

Als Think + Do Tank für demokratische Kultur ist es das Ziel von Pro Futuris, dazu beizutragen, dass wir als demokratische Gesellschaft in der Lage sind, gemeinsame Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen zu erarbeiten und damit die Blockaden der Gegenwart zu überwinden. 2023 haben wir unser Dialog-Format «Lasst uns reden» weiterentwickelt und unterschiedliche Ausgestaltungen davon getestet. Zwei Fragen stehen dabei im Zentrum: Inwiefern ist Dialog eine geeignete Methode, um a) Andersdenkende in einem gemeinsamen und konstruktiven Gespräch zusammenzubringen und b) der zunehmenden gesellschaftlichen Polarisierung zu begegnen?

Im Juni haben wir eine Dialogwoche in Basel durchgeführt und über 100 Teilnehmende mit verschiedenen Meinungen zu einem konstruktiven Gespräch zusammengeführt. Zudem haben wir im Verlauf des Jahres vier halbtägige Dialog-Workshops mit Partnerorganisationen veranstaltet. Die Themen und Fragen, welche die Teilnehmenden diskutiert haben, sind vielfältig: Soll eine «Erbschaft für alle» eingeführt werden? Soll in der Behördenkommunikation eine geschlechtergerechte Sprache zur Pflicht werden? Müssen Polizeibeamte besser geschützt werden vor gewaltsamen Angriffen?

Um die Positionen der Teilnehmenden zu verstehen, haben wir sie im Vorfeld Fragen über eine Online-Umfrage beantworten lassen oder sie sich vor Ort auf einem physischen Meinungsbarometers zwischen den Positionen “Ja, absolut” und “Nein, gar nicht” aufstellen lassen. Anschliessend haben wir Zweierpaare mit möglichst gegensätzlichen Meinungen gebildet, die sich zu einem klar strukturierten Dialog getroffen haben. Dabei sind die Teilnehmenden durch einen Gesprächsleitfaden unterstützt worden, auf welchem sie neben dem Gesprächsablauf auch Tipps für konstruktive Gespräche finden (eine kurze Version davon kann hier eingesehen werden).

Beim Dialog steht neben dem Teilen der eigenen Meinung vor allem das aktive Zuhören im Zentrum. Also die Intention, Menschen mit einer anderen Sichtweise mit Respekt zu begegnen und zu versuchen, besser zu verstehen, wieso andere Personen so denken, wie sie denken. Verstehen heisst nicht unbedingt, einverstanden zu sein. Es ist durchaus möglich, zu verstehen, weshalb jemand eine bestimmte Meinung vertritt und anzuerkennen, dass diese Meinung ihre Legitimität hat, und dennoch selber eine ganz andere Meinung zu vertreten.

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Teilnehmende am Dialogtag Bern (Foto: Aleksandra Zdravkovic)

Unsere Mission bei Pro Futuris ist es, neue demokratische Innovationen zu entwickeln, laufend zu evaluieren, wie gut diese in der Praxis funktionieren, und unsere Erkenntnisse in unsere Arbeit einfliessen zu lassen. Die externe Evaluation des Formats «Lasst uns reden» durch Policy Analytics und auch das Feedback der Teilnehmenden zeigen, dass Dialog das Potenzial hat, zu mehr gegenseitigem Verständnis beizutragen. Insbesondere wurden bei der Dialogwoche in Basel zwei statistisch relevante Veränderungen gemessen: einmal im Vertrauen in die gegensätzliche Partei und auch in der Beurteilung ihrer Charaktereigenschaften.

Nach dem Dialog vertrauen die Teilnehmenden den Handlungen der gegensätzlichen Partei mehr. (Gemessen wurde mit der Frage: Wie oft vertraust du darauf, dass die Partei XXX das Richtige für die Schweiz tut?)

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Nach dem Dialog schreiben die Teilnehmenden andersdenkenden Menschen mehr positive Charaktereigenschaften zu und weniger negative. Sprich, die Beurteilung der Charaktereigenschaften von Andersdenkenden verbessert sich.

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Diese Ergebnisse bestätigen die positiven Effekte von «My Country Talks» in Deutschland, ein Projekt, welches als Inspiration und Vorbild für «Lasst uns reden» gedient hat. Auch dort wurde festgestellt, dass bereits ein Gespräch zwischen Gesprächspartner:innen mit politisch gegensätzlichen Meinungen die affektive Polarisierung messbar reduzieren kann.

Dialog kann durch die persönliche Begegnung und das gegenseitige Zuhören dazu beitragen, Stereotypen und negative Gefühle gegenüber Andersdenkenden abzubauen. Er kann im Kleinen aufzeigen, dass Gespräche zu kontroversen Themen zwischen Fremden mit unterschiedlichen Meinungen durchaus auf eine konstruktive Art und Weise möglich sind. Diese positiven Ergebnisse ermutigen uns, das Format «Lasst uns reden» weiterzuentwickeln und zu testen, wie wir Dialog-Angebote zusammen mit Partnerorganisationen implementieren und skalieren können.

Das Format, wie wir es bisher getestet haben, stellt uns jedoch auch vor einige Herausforderungen:

  • Wie erreichen wir mehr Menschen? Sich auf einen Dialog einzulassen ist nicht einfach. Es braucht Engagement, Zeit und Mut. Nur wenige Menschen wollen unbedingt mit einer Person sprechen, die sie nicht kennen und die eine andere politische Meinung vertritt.
  • Wie erreichen wir eine grössere Diversität von Menschen? Die Auswertung der demographischen Informationen der Teilnehmenden an der Dialogwoche in Basel hat ergeben, dass die Mehrheit der Teilnehmenden einen Hochschulabschluss besitzt und sich politisch eher zwischen Links und Mitte einteilt. Auch an den Dialog-Workshops präsentierte sich ein ähnliches Teilnehmenden-Feld.

Diesen Herausforderungen wollen wir begegnen, indem wir künftig gemeinsam mit Partnerorganisationen Dialogveranstaltungen zu Themen durchführen, die in unserer Gesellschaft sehr konfliktgeladen sind und stark polarisieren. Themen, zu denen es dringend mehr Verständigung, konstruktive Gespräche und gegenseitiges Zuhören braucht, damit wir gemeinsam einen Schritt weiter kommen. Denn in einer funktionierenden Demokratie brauchen wir einen starken gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Fähigkeit, gemeinsam Lösungen für komplexe Herausforderungen auszuarbeiten und mehrheitsfähige Kompromisse finden.

Zu welchen kontrovers diskutierten Themen wünschen Sie sich mehr Dialog? Melden Sie sich gerne mit Ihren Ideen und Inputs bei team@lasstunsreden.ch.