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#Pluralismus

Und es braucht ihn doch - Im Dialog zu mehr Verständnis und Zusammenhalt

Und es braucht ihn doch - Im Dialog zu mehr Verständnis und Zusammenhalt

Wir haben mit dem «Dialogtag» ein neues Format entwickelt, um Menschen mit unterschiedlichen Meinungen in ein konstruktives Gespräch zu bringen. Damit schaffen wir ein Angebot, um das aktive Zuhören und lustvolle Streiten zu üben. So pflegen wir Kontakte zwischen Generationen und Meinungslagern und fördern den Zusammenhalt innerhalb der Gesellschaft. Diesen Juni haben wir den Dialogtag in Basel und Bern zum ersten Mal durchgeführt und getestet, wie er funktioniert. In diesem Text teilen wir unsere ersten Erkenntnisse.

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Teilnehmende am Dialogtag Bern (Foto: Aleksandra Zdravkovic)

Fördert das Reden die Demokratie?

In unserer direkten Demokratie reden, argumentieren und verhandeln wir dauernd. Zwischen Parteien, zwischen Behörden und zwischen Bewohner:innen des Landes. Doch obwohl wir eine so aktive Debattenkultur haben, öffnen sich Gräben zwischen den Generationen und die Polarisierung steigt. Einfach miteinander zu reden, scheint alleine nicht ausreichend, um gesellschaftliche und politische Brücken zu bauen. Wir brauchen also Formen des Austausches, die uns helfen, Verständnis für unsere Unterschiede zu entwickeln, und besser zu verstehen, wieso andere Personen so denken wie sie denken. Das ist gerade dann besonders zentral, wenn wir grundverschiedene Vorstellungen von Politik und Zusammenleben haben. Nur mit besserem gegenseitigem Verständnis können wir in unserer vielfältigen, demokratischen Gesellschaft friedlich zusammenleben und unsere Zukunft zusammen gestalten.

Bei Pro Futuris stellen wir uns die Frage, welche Form von Gesprächen uns als Gesellschaft näher bringt und der zunehmenden Polarisierung entgegenwirken kann. Inspiration fanden wir im «mediativen Dialog».

Ziel eines Dialogs ist es, dass ich die anderen besser verstehe und dass die anderen sich verstanden fühlen.

Im mediativen Dialog geht es im Unterschied zur klassischen Debatte nicht darum, andere zu bewerten, zu überzeugen oder in einer Auseinandersetzung zu siegen. Es ist es auch nicht das Ziel, eine Lösung für ein gemeinsames Problem zu finden und einen Kompromiss auszuhandeln. Bei mediativen Dialogen geht es darum, den kleinen goldenen Moment zu finden, in dem wir unsere Positionen für einen Augenblick verlassen und den Fokus darauf legen, wie unsere Meinung, und diejenige unseres Gegenübers, überhaupt entstanden sind.

Im mediativen Dialog machen wir die kleine, aber feine Verschiebung von der Frage nach dem Was (Was denkst du darüber?) zum Wieso (Wieso bist du zu dieser Meinung gekommen?). Wir sehen von Urteilen ab und versuchen uns in wertungsfreiem Zuhören (Und wie meinst du das genau?). Wir wagen uns von einer rein sachlichen Ebene auf eine persönlichere Ebene (Wo hast du das erlebt?). Wir verabschieden uns sogar für einen Augenblick von unserem tiefen Bedürfnis, Recht haben zu wollen – eine Herausforderung.

Nach Den Ursachen Suchen

Schema des mediativen Dialogs

Den Mutigen gehört die Demokratie

Dieser Tauchgang in die Welt darunter (siehe Bild mit dem Eisberg), dieser Schritt in den wertungsfreien Raum braucht Mut und Zeit. Er ist immer ein Wagnis. Doch ist er ein wertvolles Instrument, das wir in unserem Werkzeugkoffer für ein gelingendes Zusammenleben in einer Demokratie mitführen sollten. Denn indem wir uns nicht nur mit den Positionen anderer Menschen auseinandersetzen, sondern nach den Ursachen ihrer Haltungen forschen, können wir unsere Perspektive erweitern und mehr Verständnis für andere Sichtweisen generieren.

Mit besserem gegenseitigem Verständnis kann es uns gelingen, emotional aufgeladene Debatten zu beruhigen, konfliktive Beziehungen zu verbessern und Vertrauen wiederherzustellen. Gelungener Dialog kann verhindern, dass sich Feindbilder entwickeln, sich verschiedene Gruppen mit Schuldzuweisungen und Stereotypen eindecken und Konflikte am Ende eskalieren. Das ist essentiell in einer Konkordanzdemokratie, die eine möglichst grosse Zahl von Akteur:innen in den politischen Prozess einbeziehen und Entscheidungen durch Konsens treffen will.

Indem er Vertrauen und gegenseitiges Verständnis schafft, kann der Dialog also dazu beitragen, dass wir als demokratische Gesellschaft konstruktiver miteinander und mit unseren Unterschieden umgehen, gemeinsam schlauer werden und nachhaltigere und inklusivere Lösungen entwickeln. Echter Dialog braucht also nicht nur Mut – er ist auch essentiell dafür, dass wir uns in einer Demokratie überhaupt verständigen können.

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Teilnehmende am Dialogtag Basel (Foto: Simon Döbeli)

Der Dialogtag – ein sicherer Raum für Begegnungen, die das gegenseitige Verständnis fördern

Aus der Methode des mediativen Methode haben wir das Konzept für den Dialogtag abgeleitet, den wir nun in zwei Durchführungen in Basel am 3. Juni mit Bajour und in Bern am 10. Juni mit dem Berner Generationenhaus veranstalten konnten. Die rund dreistündige Veranstaltungen haben wir mit einer Einführung in die Grundprinzipien des mediativen Dialogs begonnen. Daraufhin stellten wir eine aktuelle, möglichst polarisierend Frage wie zum Beispiel Soll eine «Erbschaft für alle» eingeführt werden?, Handelt die Polizei bei Demonstrationen verhältnismässig?, Soll in der Behördenkommunikation eine geschlechtergerechte Sprache zur Pflicht werden? oder Sollen Grossunternehmen stärker besteuert weden?. Die Teilnehmenden stellten sich anschliessend entlang eines Meinungsbarometers zu dieser aktuellen Frage auf, indem sie eine Position irgendwo zwischen «Ja, absolut» und «Nein, gar nicht» einnahmen.

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Teilnehmende am Dialogtag Bern platzieren sich auf dem Meinungsbarometer (Foto: Aleksandra Zdravkovic)

Diese Aufteilung im Raum ermöglichte es, Zweierpaare mit möglichst ungleichen Meinungen, die also auf dem Barometer möglichst weit auseinander standen, zu bilden. Diese frisch gebildeten Paare haben sich dann in ein Gespräch vertieft, und sich dabei darauf fokussiert, sich gegenseitig aktiv zuzuhören, nachzufragen und trotz Meinungsverschiedenheiten nicht in den Modus zu verfallen, Recht haben zu wollen.

An den Dialogtagen haben wir so einen Raum geöffnet, in dem sich Andersdenkende begegnen und ein angeleitetes Gespräch zu brennenden Themen führen. Menschen aus allen Ecken von Basel und Bern sind zusammengekommen – Schüler:innen, Senior:innen, Arbeitstätige und freiwillig Engagierte. Menschen, die schon immer in den Städten gelebt haben und solche, für die sie erst kürzlich ein Zuhause geworden sind. Der anschliessende Apéro an der Abendsonne auf der Rheinterrasse und im Innenhof des Generationenhauses bot den perfekten Rahmen, um die angeregten Gespräche in gemütlicher Stimmung ausklingen zu lassen. Viele genossen noch mehrere Stunden das Zusammensein und den Austausch von Ideen dazu, wie wir als Gesellschaft mit vorhandenen und zukünftigen Gräben umgehen können.

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Teilnehmende am Dialogtag Bern (Foto: Aleksandra Zdravkovic)

Was wir dabei gelernt haben

«Ich war viel weniger emotional als in anderen Gesprächen, obwohl mich das Thema sehr betrifft und konnte mich auf den Inhalt fokussieren.» (Aussage in der Feedback-Runde)

Wir durften beide Male mit einer heterogenen Gruppe arbeiten, sowohl bezüglich Alter als auch Einstellung. Die Teilnehmenden schätzten besonders den Austausch zwischen Generationen, die Lebendigkeit der Gespräche, die Kombination von Fachwissen und praktischem Ausprobieren, sowie die Feedbackrunden, bei denen die Teilnehmenden ihre Anliegen im Zusammenhang mit Streitsituationen einbringen und voneinander lernen konnten. Die Teilnehmenden fanden es hilfreich für den Alltag und haben betont, dass diese Form der Begegnung eine Tiefe zulässt, die sie im gesellschaftlichen und politischen Diskurs vermissen und die dringend notwendig wäre, um aktuelle Herausforderungen anzugehen.

«Ich konnte viel besser zuhören, sonst unterbreche ich das Gegenüber immer sehr schnell.» (Aussage in der Feedback-Runde)

Nicht erreichen werden wir mit diesem Format – wie auch mit anderen Dialogformaten – diejenigen Personen, die dem Gespräch mit Andersdenkenden grundsätzlich abgelehnt sind und diejenigen, die Extrempositionen vertreten. Solche Personen werden nicht freiwillig in ein konstruktives Gespräch mit Andersdenkenden treten.

«Vielen Dank noch einmal für den Dialogtag! In mir hat es ziemlich viel ausgelöst. Jetzt hoffe ich, dass ich auch meine Haltung ändern kann.» (E-Mail-Feedback einer Teilnehmerin)

The more the better

Nach diesem ermutigenden Start freuen wir uns, das Format in eine weitere Entwicklungsrunde zu schicken. Im Rahmen der ersten Durchführungen sind wir bereits von einigen Institutionen für potentielle Partnerschaften kontaktiert worden. Überall dort, wo wir kollektiv unser Zusammenleben gestalten, ist es wichtig, dass wir einen sicheren Rahmen schaffen können, um mit unseren Differenzen umgehen zu können. Das Format lässt sich in unterschiedlichsten Konstellationen, innerhalb von Unternehmen, Behörden oder Bildungsinstitutionen umsetzen, die eine konstruktive Konfliktkultur in ihrem Umfeld und einen starken Zusammenhalt in der Gesellschaft fördern möchten. Sie möchten mehr darüber erfahren? Melden Sie sich gerne bei info@profuturis.ch.